Lisa

Lisa

Lisa hasste diesen Sonntag Morgen. Nicht wegen des Wetters oder so, sondern weil ihre Mutter durchs Treppenhaus brüllte. „Mark, wir warten alle mit dem Frühstück auf Dich!“ Sie beschloss, es zu ignorieren, aber natürlich half das nichts und ihre Mutter stapfte die Treppe zu den Kinder­zimmern hoch und öffnete schwungvoll die zu ihrem – Lisa spürte ihren Ärger, noch bevor sie richtig im Zimmer war. „Los, Mark, aufstehen Du Schlafmütze!“ Das war nun wirklich zu viel. „Ich heiße nicht Mark und außerdem bin ich viel zu müde zum Aufstehen“ grummelte sie und drehte sich zur Wand um. „Oh nein, nicht schon wieder dieser Mädchen-Quatsch.“ Die Stimme Ihrer Mutter verhieß nichts gutes. „Egal, komm zum Frühstück oder lass es.“ Sie drehte sich auf dem Absatz um, schloss unsanft die Tür und polterte die Treppe wieder hinunter.

Lisa seufzte. OK, sie war 14 und in der Pubertät verstand einen sowieso niemand. Nicht, dass es sie wunderte, dass alle sie für verrückt hielten – sie verstand es ja selbst nicht. Aber irgendwie hatte sie immer gedacht, dass sie mit allem zu ihren Eltern kommen konnte. Immer konnte sie das – bis vor einem halben Jahr.

Sie hatte sich nie großartig Gedanken gemacht, wer sie war. Wer tat das schon? OK, sie war nicht wie die anderen Kinder, wie die anderen Jungs. Das Wort Jungs verursachte ihr Schmerzen. Das war nie ein Problem gewesen. Sie hatte halt lange Haare gehabt, fand Fußball doof und Pferde toll und spielte immer mit den Mädchen anstatt mit den Jungs. Das war immer schon so gewesen und hatte sie nicht gestört.

Aber dann kam der Morgen, da war ihr Bett ganz nass gewesen und als sie es ihrer Mutter gezeigt hatte, hatte die sie ganz seltsam angesehen und gesagt, dass sie darüber mit Papi sprechen musste. Lisa hatte den ganzen Tag große Angst, was denn nun passiert war. Hatte sie etwas falsch gemacht? Oder war sie vielleicht krank?

Am Abend passierte erst einmal gar nichts, nur dass sich ihre Eltern beim Abendessen immer so komisch ansahen. Schließlich sagte ihr Vater „Ich glaube, wir müssen uns mal unterhalten“ und ging mit ihr in ihr Zimmer. Und dann passierte es. Er redete von erwachsen werden, von Mann werden. Sie hatte ihn fassungslos angesehen und auf einmal verstanden, dass da in ihrem Leben etwas ganz fürchterlich schief ging. Ich Vater war nett gewesen und sie hätte nicht gewusst, was sie hätte sagen sollen. So war sie nur stumm da gesessen und hatte getan als würde sie zuhören. Ihr war zum Heulen gewesen aber sie hatte nicht geweint. Sie hatte genickt, als er gesagt hatte, dass sie ein großer Junge wäre und bald ein Mann. Sie hatte es sogar geschafft, zu lächeln als er endlich ging.

Ein Mann? Das konnte sie nicht werden, das ging nicht. Das war falsch, das konnte nicht richtig sein, da war sie sich völlig sicher. Mehr wusste sie nicht, aber das hier war völlig verrückt.

Am nächsten Tag schien alles wie immer, Frühstück, Schule. Aber in ihr war nichts wie immer. Aber etwas hatte sich geändert, ohne dass sie hätte sagen können was. Und als sie bei den Haus­auf­gaben war, wusste sie, dass sie etwas tun musste. Aber was? Ratlos ging sie ins Bad und betrachtete sich im Spiegel. Ja, sie mochte sich. Die schulterlangen blonden Haare gefielen ihr, auch der Schmollmund, sogar die spitze Nase mochte sie irgendwie gern. Und dann wusste sie es: natürlich, der Name! „Ich kann nicht Mark heißen“, sagte sie laut vor sich hin. Aber wie dann? Ratlos ging sie in ihr Zimmer zurück, blickte gedankenverloren die lange Reihe von Pferdebüchern entlang, bis ihr Auge an „Lisa und die Pintofohlen“ hängen blieb. „Genau“ sagte sie laut und erschrak, dass sie laut gedacht hatte. Lisa wollte sie von nun an heißen. Das musste sie gleich Ihrer Mutter erzählen.

Ihre Mutter fand es überhaupt nicht selbstverständlich, zu dem Kind, das eben noch Mark hieß, plötzlich Lisa sagen zu müssen. „Sieh Dich im Spiegel an, Du bist doch kein Mädchen. Das ist doch nur wieder eine von Deinen verrückten Ideen, oder?“ Lisa sagte nichts, rannte einfach nur wieder die Treppe hoch, warf sich aufs Bett und weinte, weil ihre Mutter das nicht verstand. Als die Tränen getrocknet waren, saß sie nur da, verzweifelt. Sie war glücklich, sie fühlte sich als Lisa, hatte sich immer so gefühlt. Aber wenn ihre Mutter fand, dass das nur eine dumme Idee war? Vielleicht bildete sie sich das ja wirklich nur ein?

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